Aachen liegt nah an der Grenze zu Belgien und den Niederlande. An vielen Stellen in unserem Alltag merken und schätzen wir dies. So hat auch unser Verein Mitglieder aus eben diesen beiden Ländern. Für Betroffene ist es jedoch nicht immer einfach in der Grenzregion zu leben. Vor allem in Belgien hat sich in den letzten Jahren im Gesundheitssystem einiges geändert, so dass es vielen Mukoviszidose-Betroffenen nicht mehr möglich ist, sich wie gewohnt in Aachen behandeln zu lassen. Auch der Umgang mit den neuen Mediakamenten (Genmodulatoren) wie Kaftrio wird unterschiedlich gehandhabt.
In diesem Zusammenhang möchten wir auf einen Zeitungsartikel hinweisen, der am 15. März 2021 im Grenzecho (Die deutschsprachige Tageszeitung in Ostbelgien) erschienen ist. Désirée Blesgen und ihre Familie sind seit Jahren Mitglied im Mukoviszidose e.V. AACHEN.
Von Christian Schmitz
Ich habe sehr viel Lebensmut
Täglich eine Vielzahl von Medikamenten einnehmen, auf die Ernährung achten, regelmäßig inhalieren, spezielle Atemtherapien, Krankengymnastik und jetzt auch noch Corona: Der Alltag für Mukoviszidose-Patienten ist eine echte Herausforderung. Eine aktuelle Entscheidung der Gesundheitsbehörden hat zwar vor Kurzem für einen Lichtblick gesorgt, allerdings nicht für alle „Muko“-Patienten.
Die angeborene Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose ist unheilbar. Bei den Betroffenen sind wegen eines Gendefekts die Körperflüssigkeiten wie Spucke, Bronchialschleim oder Bauchspeicheldrüsensekret viel zäher als gewöhnlich. Dieser Schleim setzt sich fest, ist ein Ausgangspunkt für Bakterien und schädigt so die Organe. Eine Folge ist ein chronischer Husten.
Verlauf und Schwere der Krankheit gestalten sich jedoch sehr unterschiedlich. Je nachdem, welche Mutationen vorliegen, können einzelne oder mehrere Organe ungleich stark betroffen sein. Laut Schätzungen gibt es in Belgien etwa 1.330 „Muko“-Patienten. An zwei Händen abzählen kann man die Zahl der Betroffenen in Ostbelgien. Man kennt sich und tauscht sich untereinander aus.
Zu ihnen gehört auch die Eupenerin Désirée Blesgen, die sich wie viele ihrer Leidensgenossen mit einer eingeschränkten Lungenfunktion herumschlägt. Bei ihr wurde die Krankheit erst im Alter von drei Jahren nach verschiedenen Arztbesuchen und eingehenden Untersuchungen in der Löwener Universitätsklinik Saint-Luc über einen Schweißtest bestätigt. „Zwischen dem ersten und dem dritten Lebensjahr hatte sich mein Gesundheitszustand dermaßen verschlechtert, sodass sich meine Eltern große Sorgen um mein Leben machten“, berichtet die 19-Jährige dem GrenzEcho.
Die Diagnose Mukoviszidose sei dann ein „Schock“ gewesen, habe im gewissen Sinne jedoch auch Erleichterung ausgelöst, weil man Gewissheit und ihr Gesundheitszustand endlich einen Namen hatte.
Die Löwener Uniklinik ist auf Mukoviszidose spezialisiert: Désirée Blesgen wurde mit den entsprechenden Me- dikamenten und Therapien behandelt, sodass sich ihr Gesundheitszustand stabilisierte. „Meine Familie und ich mussten anschließend lernen, mit dieser Krankheit umzugehen. Als Patient hat man zahlreiche Verpflichtungen: Ich muss zum Beispiel Medikamente nehmen, zwei Mal täglich inhalieren und mich jeden Tag entsprechend bewegen“, erzählt sie.
Bei ihr hat die Mukoviszidose auch eine Diabetes-Erkrankung ausgelöst. Hinzu kommt zwei Mal pro Woche Krankengymnastik, bei der auch an einer Atemtherapie gearbeitet wird. Als wäre das nicht schon Belastung genug, hat die Ausbreitung des Coronavirus den Alltag der 19-Jährigen noch weiter eingeschränkt.
Désirée Blesgen studiert in Aachen-Burtscheid soziale Arbeit und ist in den Ferien im Eupener St. Josephsheim tätig. Vor diesem Hintergrund ist sie bereits gegen das Coronavirus geimpft worden. „Glücklicherweise gab es überhaupt keine Nebenwirkungen. Vorsichtig bleibe ich aber trotzdem, weil ich natürlich niemanden aus meiner Familie oder meinem Freundeskreis anstecken möchte“, sagt die Eupenerin.
Große Zufriedenheit bei den Mukoviszidose-Patienten hat eine Entscheidung der belgischen Gesundheitsbehörden ausgelöst, wonach zwei teure Behandlungen fortan rückerstattet werden. „Die Auswirkungen auf die Lebensqualität und die Lebenserwartung ist sehr groß“, kommentierte dies die belgische Mukoviszidose- Vereinigung.
Konkret geht es um die Medikamente Orkambi und Symkevi, für die es nun eine Rückerstattung gibt. Laut Schätzungen kommen in ganz Belgien bis zu 600 Patienten für die Behandlung infrage. Der zuständige föderale Gesundheitsminister Frank Vandenbroucke (SP.A) sprach gegenüber der Nachrichtenagentur Belga von „langen und schwierigen“ Gesprächen mit der Pharmaindustrie, jedoch habe man ein „verantwortungsbewusstes“ Ergebnis erzielt. Orkambi ist grundsätzlich für Patienten von zwei bis elf Jahren gedacht, Symkevi für Betroffene über zwölf Jahre.
Ohne Rückerstattung würden die Kosten für eine Behandlung mit Orkambi bei rund 134.000 Euro jährlich liegen, und bei Symkevi wären es sogar 165.000 pro Jahr. „Das ist unbezahlbar. Deshalb sind wir froh, dass wir den Betroffenen helfen können“, meinte der Gesundheitsminister. Mit den bisherigen Medikamenten ließen sich die Symptome besser bekämpfen: Der zähe Schleim wurde flüssiger oder Infektionen wurden verhindert. Von den neuartigen Wirkstoffen verspricht man sich eine deutlich verbesserte Lungenfunktion.
Bei Désirée Blesgen sieht das anders aus. Sie hat an einer Studie teilgenommen, die ein enttäuschendes Resultat lieferte: Orkambi wirkt bei ihr leider nicht. Deshalb hofft die junge Eupenerin auf ein Nachfolgeprodukt von Orkambi und Symkevi, das wie die beiden genannten Medikamente vom US-amerikanischen Pharmaunternehmen Vertex vertrieben wird.
Erstattung Kaftrio nicht gewährleistet
Dabei geht es um das Medikament Kaftrio. Dieses wird in Belgien aber noch nicht rückerstattet. „Und die Behandlung ist ebenfalls äußerst teuer. Kaftrio ist meine letzte Hoffnung“, sagt sie. Ihren Alltag erlebt Desirée Blesgen als „ein ständiges Auf und Ab“: „Man weiß nun mal nicht, wenn man abends einschläft, wie es einem am nächsten Morgen geht. Man hat auch ein bisschen Angst, ob man überhaupt wieder aufwacht“, drückt sie ihre Gefühle aus. Unterkriegen lässt sie sich davon aber nicht. „Ich habe sehr viel Lebensmut.“
Eine erweiterte Rückerstattung für die richtige Behandlung ist aber nicht das Einzige, was Mukoviszidose-Patienten beschäftigt. Im belgisch-deutschen Grenzraum sind mit dem Wegfall des „IZOM“-Abkommens zur grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung Mitte des Jahres 2017 neue Probleme entstanden.
Die seitdem geltende „Ost- belgien-Regelung“ bietet nicht mehr so viele Vorteile. Untersuchungen sind zwar kein Problem, wohl aber ist die Erstattung von Medikamenten unglaublich kompliziert. So muss man sich beispielsweise im Vorfeld vergewissern, ob ein in Deutschland verschriebenes Medikament auch hierzulande erstattet wird. Wenn der Betroffene ein deutsches Rezept benutzt und eine Apotheke im Nachbarland aufsucht, muss er den vollen Preis vorstrecken und erhält nur den in Belgien geltenden Satz zurück. Und da die Medikamente in Deutschland oftmals teurer sind, ist Vorsicht geboten.
Auf Nummer sicher geht man, wenn man sich das entsprechende Mittel von einem weiteren Arzt in Belgien verschreiben lässt – das ist mit viel Lauferei verbunden. Spezialisierte Physiotherapien oder Untersuchungen im Labor werden nicht erstattet, weshalb man sich im frankofonen Raum in Belgien umschauen muss.
Was die Erstattung von Medikamenten angeht, dürften sich gerade Mukoviszidose-Patienten im Grenzraum ungerecht behandelt fühlen. So ist das Medikament Kaftrio bereits in Deutschland erhältlich und wird dort erstattet, in Belgien dagegen nicht. „Dieses Medikament würde mir wahrscheinlich das Leben retten. Es ein paar Kilometer weiter hinter der Grenze bekommen zu können, hier allerdings nicht die Möglichkeit zu haben, ist frustrierend“, findet Désirée Blesgen.
Sie hofft darauf, dass Hersteller Vertex schnellstmöglich einen Antrag auf Erstattung in Belgien einreicht und die Behörden hierzulande dann grünes Licht für die Entschädigung geben. „Die Verhandlungen für die Rückerstattung von Orkambi haben vier Jahre gedauert. Das darf nicht noch mal passieren, denn die Zeit habe ich wahrscheinlich nicht.“