Kaftrio – eine Chance

Ein Gastbeitrag von Svenja Behlen.

Was macht ein Genmodulator

Seit ein wenig mehr als zwölf Jahre gibt es in Deutschland die Möglichkeit Mukoviszidose Patienten mit Medikamenten zu behandeln, die nicht nur symptomatisch gegen die Erkrankung wirken, sondern gezielt am Hauptproblem der Mukoviszidose angreifen. Das Hauptproblem, Ursache für die fortschreitende Verschlechterung der CF, ist das Fehlen bzw. nicht regulär funktionieren CFTR Kanäle im Körper der Patienten. Mit Kalydeco kam erstmals ein Potentiator auf den Markt, der zumindest bei Patienten mit vorhandenen Salzkanälen eine Besserung bewirken konnte. Es folgten Kombinationspräparate die den Potentiator Ivacaftor (Kalydeco) mit Korrektoren wie Lumacaftor (Orkambi = Ivacaftor + Lumacaftor) oder Tezacaftor (Symkevi = Ivacaftor + Tezacaftor) verbanden. Diese Präparate halfen nun auch Patienten die nicht über (oder nur sehr bedingt über) Salzkanäle verfügten. Die Korrektoren sorgen dafür das Salzkanäle in den Zellen des Patienten entstehen und der Potentiator verhilft zu einer besseren Funktion eben jener.

Zum Erhalt eines dieser Medikamente muss der Patient eine bestimmte Mutation aufweisen. Nicht alle Patienten konnten von den neuen ‚Wundermitteln‘ profitieren und die die es taten wiesen oft sehr unterschiedliche ‚Erfolge‘ auf.

Lang ersehntes Medikament endlich zugelassen

Seit letztem Jahr ist nun das neueste Mittel des Pharmakonzerns Vertex auf dem europäischem Markt. Kaftrio – im englischen  unter Trikafta bekannt – wurde Ende August 2020 in Europa zugelassen. Kaftrio ist das erste der Mittel das aus drei Stoffen besteht (Kaftrio – Tezacaftor + Elexacaftor, Kalydeco =Ivacaftor) Es wurde euphorisch erwartet, da die Berichte aus Amerika und von europäischen Studienteilnehmern sehr viel versprechend waren. Ein weiterer großer Pluspunkt dieses Medikaments ist zudem das sehr viele CF Mutationen davon profitieren können.

Und dort setzt meine persönliche Geschichte ein.

Jedes neue Medikament wird gefeiert

Meine Name ist Svenja Behlen, ich bin nun neununddreißig Jahre alt und habe natürlich Mukoviszidose. Ich wurde mit zweieinhalb Jahren diagnostiziert und werde seitdem in Aachen behandelt. Meine Mutation ist Delta 508 homozygot. Ich gehöre zu der Generation die zu Anfang kaum Medikamente hatte. Es gab einfach gar nichts. Jedes neue Medikament wurde gefeiert. Ein langes Leben mit CF hat mich gelehrt, dass man sich eigentlich nicht auf Wundergeschichten freuen darf.  Oft habe ich es erlebt, dass neue hochgelobte Medikamente bei mir gar nichts bewirkt haben.

Trotzdem ließ ich nach der europäischen Zulassung auf Symkevi ein (2015). Orkambi hatte ich noch ausgelassen, da mir die Wirkung für die eventuell zu erwartenden Nebenwirkungen zu gering erschien. Symkevi hat mir letztendlich eine gewisse Stabilität gebracht. Statt wie die Jahre zuvor sechs oder sieben I.V. Therapien jährlich, brauchte ich nur vier. Meine Lungenfunktion jedoch blieb weiter auf einer niedrigen Basis. Letztendlich sank mein FEV1 bis auf nur noch 27 %, mit Sauerstoff nachts und bei Belastung. Trotz Therapie mit Korrektor und Potentiator schien mein Weg also auf eine Lungentransplantation zu zu laufen.

Nun wurde letztes Jahr dann Ende August Kaftrio in Europa zugelassen. Ab dem elften September begann nun auch ich die Therapie damit, in der Hoffnung das es auch mir helfen würde. Kaftrio besteht aus zwei gelben Tabletten die alle drei Wirkstoffe enthalten und erst einmal morgens genommen werden. Abends nimmt man eine weitere blaue Tablette Kalydeco zu sich, da dieser Wirkstoff nur zwölf Stunden wirkt.  

Nie gekannte Freiheit

Schon nach den ersten zwei Tabletten setzte wenige Stunden später der sogenannte Purge ein. Dies bedeutet das ohne große Therapieanstrengung Sekret abgehustet wird. Selbst Patienten die denken sie hätten von vorneherein nicht viel Sekret, sind überrascht wie viel letztendlich doch herauskommt. Bei einigen dauert es ein paar Stunden, manchmal über Tage hinweg. Bei mir war es mehrere Stunden, recht anstrengend. Danach hatte ich circa zwei Wochen lang täglich eine Weile Auswurf. Noch heute – vier Monate in der Therapie – habe ich Momente in denen ‚einfach so‘ Sekret hochkommt.

Grundsätzlich geht mit dem Abhusten aber dann eine nie gekannte Freiheit einher. Plötzlich ist laufen möglich, Treppen steigen. Lachen ohne Hustenanfälle. Auch meine Nase hat sich ‚freigelaufen‘. Mein Darm hatte auch eine Art Purge und meine Verdauung ist so gut wie nie zuvor. Nahezu normal.

Lungenfunktion steigt

Schon nach der ersten Monatskontrolle hatte sich meine Lungenfunktion radikal verbessert. ( Fev1 27% auf 45%, die MEF Werte die bei mir schon als Kind oft einstellig waren plötzlich alle zwischen 20 und 30%.) Ich brauchte weniger Insulin. Ich brauchte weniger Kreon. Ich hatte mehr Energie. Ich brauchte kaum noch Sauerstoff.

Nun nach der vierten Monatskontrolle kann ich berichten das mein FEV1 bei stolzen 61% liegt (über 60% war ich das letzte Mal vor über zehn Jahren!) und meine MEF Werte alle zwischen 30 bis 45 % liegen. Mein Sauerstoff konnte abbestellt werden.  Ich brauche nur noch halb soviel Insulin wie zuvor. Statt vierzig Kreon 40.000 Tabletten täglich, nehme ich nur noch bis zu fünf Kreon 10.000er Tabletten zu mir. Mukoclear brauche ich nicht mehr, normales NaCl langt nun vollends für die befeuchtende Inhalation.

Ebenso habe ich nun in meinem Sputum – Befund das erste mal seit nahezu zwanzig Jahren nur einen Pseudomonas Stamm. Die letzten Jahre hatte ich bis zu fünf verschiedene Stämme, drei davon mit MRGN Status. Für mich ein unglaublicher Befund.

Es heißt man sollte mindestens ein Jahr lange seine gewohnte Therapie weiter durchführen und erst dann schauen was man ändern kann. Einige Dinge kann und MUSS man sogar zwischendrin umstellen. Die Kreon-Zufuhr, die Insulingabe, die Inhalation. Man muss möglicherweise des öfteren anpassen. Es ist ein komplett neues Lebensgefühl. Ich hoffe das ich nicht nur Überlebenszeit gewinne, sondern am Ende vor allem LEBENSZEIT. Mehr Zeit um mit Freunden zu sein. Zeit um die Kinder meiner Freunde eine Weile in ihrem Leben zu begleiten.

Svenjas Kaftrio Tagebuch auf Facebook.
Svenjas Kaftrio Tagebuch auf Facebook.

Keine Wirkung ohne Nebenwirkung

Ich hatte zu Beginn recht starke Nebenwirkungen mit starkem Schwindel, Bauchschmerzen, Übelkeit. Kribbeln in Beinen und Armen, welches allerdings besser wurde nachdem ich meine Magnesium-Zufuhr radikal erhöht habe (es ist bekannt das Kaftrio ein sogenannter Magnesium-Fresser ist). Der Schwindel ließ nach ca. drei Monaten nach. Heute bin ich nahezu frei von Nebenwirkungen.

Was man jedoch beobachten kann, unter nahezu allen Potentiatoren und Korrektoren ist eine Verschlechterung des Hautbilds. Hier sollte man sich wirklich die Zeit nehmen, das Hautbild einmal genau analysieren zu lassen um herauszufinden welche Reinigung und Pflege man nutzen sollte.

Zudem leide ich noch heute unter Schlaflosigkeit, das Medikament weckt soviel Energie die ein Cfler mit fortgeschrittener Erkrankung gar nicht mehr kennt. Die Pandemie zwingt uns zu großer Vorsicht und so ist es schwer das Mehr an Energie eloquent zu verbrauchen. Ein wenig Hilfe brachte es die Morgendosis mit der Abenddosis zu tauschen.

Auch von intensiveren, teilweise verängstigenden Träumen wird berichtet. Ich selber erlebe das auch. Dies lässt sich aber erklären das besonders schon zuvor schwerer betroffene Patienten nun das erste Mal seit Jahren in richtige Tiefschlafphasen gelangen. Zuvor haben Hustenanfälle, Schmerzen und Atemnot einen erholsamen Schlaf verhindert. Das Medikament bewirkt auch im Gehirn viel und das muss nachts verarbeitet werden. Dies geschieht in unseren Träumen. Für Patienten die zuvor kaum noch bewusst geträumt haben, ist dies natürlich erst mal erschreckend.

Psyche teils überlastet

Ebenso hat Kaftrio eine Wirkung auf die Psyche. Patienten mit bekannter Problematik sollten hier engmaschig beobachtet werden. Durch die Corona Pandemie sind wir natürlich alle angespannter und genervt. Es ist daher schwer ganz genau nachzuvollziehen was wirklich durch das Kaftrio ausgelöst wird.

Ich denke aber, dass es auch natürlich ist, das gerade wenn gesundheitlich eine große Verbesserung auftritt, die Psyche teilweise überlastet ist. Der Körper wird einem fremd. Plötzlich tun sich eventuell Wege auf wieder zu arbeiten (oder von Teilzeit wieder in Vollzeit zu wechseln), ein neues Hobby zu ergreifen, Sport zu treiben. Man ist weniger mit der Therapie beschäftigt und weiß plötzlich nichts mit sich selbst anzufangen. Patienten, die immer schlank waren, nehmen plötzlich zu. Oftmals sogar viele Kilo in wenigen Monaten. Sie müssen lernen nun gesünder zu essen, und auf ihren Kalorienhaushalt zu achten. Patienten die immer ein gutes Gewicht hatten, haben nun Angst ‚dick‘ zu werden.

Ich gehöre zur zweiten Kategorie und habe mit einer Kalorien App gearbeitet. Tatsächlich habe ich nach jahrelangem vergeblichen Kampf es nun endlich geschafft die Kortison – Kilos abzunehmen und fühle mich endlich wieder richtig gut. Sprich die Disziplin die man zuvor eventuell bei der Therapie der Lunge angewendet hat, muss sich jetzt eben auf andere Bereiche verschieben.

Kennen wir uns? – Gleicher Körper, neues Leben

Die Atmung verändert sich, Geräusche die man ewig von sich kannte sind plötzlich verschwunden. Man verliert ein wenig das Gefühl für das vertraute Organ. Auch wenn man seine Lunge vielleicht oft verteufelt hat, so fühlt es sich doch oftmals komisch an, wenn sie plötzlich belastbarer, besser ist.

Man muss sich selbst erneut beobachten lernen, die neuen Reaktionen des Körpers kennen lernen. Man muss die alten Grenzen überwinden, man braucht weniger Schlaf und der Schlaf, den man bekommt, ist wesentlich erholsamer. Aber man lernt auch, dass eben auch ein fitterer Körper Grenzen hat. Man muss ganz neu entdecken wann man Ruhe braucht. Das Gehirn arbeitet viel in der Zeit, neue Synapsen entstehen, alte werden eventuell nicht mehr gebraucht.  Wer zusätzlich Diabetes hat muss diesen auch genauer beobachten wie die verbesserte Verdauung sich auswirkt.

Das klingt natürlich wie jammern auf hohem Niveau und in gewisser Weise ist es das auch. Jedoch muss man im Kopf behalten, dass für einen Patienten, der zuvor schon in einem guten Zustand war, diese Art Nebenwirkungen eine größere Belastung darstellen können, als für einen Patienten der schon in einem schlechteren Zustand war.

Noch einmal durchatmen

Ich kann für mich selbst sagen, dass ich sehr dankbar bin noch von Kaftrio profitieren zu können und – wenn auch spät im Leben – noch einmal durchatmen zu können. Ich kann aber durchaus verstehen, dass es für andere Patienten auch eine große Belastung darstellen kann. Deswegen sollte vor der Entscheidung zur Behandlung mit einem Medikament das soviel verändern kann, eine gute Beratung mit dem behandelndem Arzt/ dem Team der CF- Ambulanz stattfinden. Zu Anfang muss eine engmaschige Kontrolle der Blutwerte stattfinden. (Das Medikament kann z.B. durchaus problematisch für die Leber werden).

Und wie bei jedem Medikament gilt: es sind keine Bonbons und mit Nebenwirkungen muss gerechnet werden. Zudem sind diese Art Medikamente unsagbar teuer und auch wenn auf Leben kein Preis gelten darf, so sollte ein jeder sich der Verantwortung bewusst sein, diese Medikamente dann auch wirklich richtig einzunehmen und verantwortungsvoll damit umzugehen.

Bei Kaftrio und allen anderen Medikamenten jener Art gilt es die Tabletten mit einer fetthaltigen Mahlzeit einzunehmen. Es gibt verschiedene Angaben hierzu. Ich selbst habe mich dazu entschieden hier den amerikanischen Patienten – die nun einfach die längste Erfahrung haben – zu vertrauen und nehme jeweils circa zwanzig Gramm Fett zu jeder Einnahme. Ich habe für mich selbst herausgefunden, dass mit weniger die Wirkung anders ist. Das muss aber wahrscheinlich auch jeder Patient ein wenig für sich austesten.

Ein neuer Weg liegt vor mir.

Es gibt auch viele Patienten die sich Sorgen machen, da die Spätfolgen des Medikaments natürlich nicht ersichtlich sind. Ich verstehe solche Ängste. Doch hierbei stellt sich die Frage… die Spätfolgen unserer Erkrankung sind bekannt. Am Ende sterben wir alle an CF bzw ihren Folgen. Oftmals qualvoll, oftmals so, dass die Jahre vor unserem Tod kein wahres Leben mehr sind.  Das sind die harten Fakten der CF und dabei ist es erst einmal unerheblich ob ich als Teenager schon sehr krank bin, oder erst im späteren Erwachsenenalter.  

Und nun gibt es die Chance dieses zu ‚verhindern‘. Nicht den Tod an sich. Jedoch den oftmals viel zu frühen Tod. Es gibt die Chance wirklich wieder zu leben. Ist es nicht das was wir immer erhofft haben? Dass eines Tages ein Medikament uns tatsächlich Chancen auf Reisen, auf Abenteuer, auf  Leben ermöglichen würde? Und nun sind solche Medikamente verfügbar. Und ja – wir wissen nicht ob sie nach ein paar Jahren die Wirkung verlieren, oder ob wir andere Spätfolgen erleiden. Aber das wissen wir nie, bei keiner Therapie. Doch geben wir deswegen auf? Lassen wir Sorge und Bedenken uns einer Chance berauben?

Ich versuche es für mich stets so zu sehen: Wo die CF mich hinführt ‚weiß‘ ich, es ist ein Weg der immer klar vor mir lag. Ich gehe nun lieber den neuen Weg der sich eröffnet hat. Einen dessen Ende ich nicht ersehen kann. Und auch wenn am Ende die Wege wieder zusammen treffen, so weiß ich doch, dass ich auf meinem neuen Weg sehr viel mehr Lebensqualität genossen haben werde.